Jupp Lückeroth (1919-1993)
„Das gesamte Dasein ist eine fließende Bewegung ohne Grenzen. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Malerei seit Cézanne und den Impressionisten und der Revolutionierung des physikalischen Weltbildes um die Jahrhundertwende. Im Mittelpunkt steht die bildliche Umsetzung von Bewegung. Bewegung ist eine Form von Zeit. Bewegung ist Zeit. Zeit produziert Raum.
Die Zeit als 4. Dimension erweitert den dreidimensionalen in einen vierdimensionalen Raum. Wir sprechen von einem Zeitraum. Der Raum ist untrennbar an die Zeit gebunden. Wenn der Raum gekrümmt ist, ist nach Einstein auch die Zeit gekrümmt. Wenn der Zeitraum gekrümmt ist, sind auch die Bewegungsformen gekrümmt. Hierauf begründen sich meine Wellenbilder.“
Jupp Lückeroth
Jupp Lückeroth – Eine persönliche Entdeckung
Seit meiner Jugend beschäftige ich mich mit der informellen Kunst. Jupp Lückeroth war dabei lange eine Randfigur für mich – bis ich einem seiner Werke in einem deutschen Auktionshaus begegnete. Die expressive Kraft des Bildes faszinierte mich sofort, und ich erwarb es. Wenige Monate später übernahm ich den künstlerischen Nachlass von seiner Nichte Anneliese Schlagloth – ein Wendepunkt, der meine Beziehung zu Lückeroths Werk vertiefte und prägte. Seither widme ich mich mit großer Freude seinem künstlerischen Erbe: Ich habe seine Arbeiten immer wieder öffentlich gezeigt und in bedeutende Sammlungen und wertschätzende Hände vermitteln können. Jupp Lückeroths Werk ist für mich nicht nur ein kunsthistorisches, sondern ein zutiefst persönliches Anliegen geblieben.
Lückeroths Malerei ist geprägt von einer gestischen Handschrift und einer tiefen Auseinandersetzung mit Farbe, Fläche und (Wellen-)Bewegung. Als Vertreter des deutschen Informel blieb er zeitlebens außerhalb des großen Rampenlichts – und schuf dennoch ein beeindruckendes Œuvre voller Eigenständigkeit und Ausdruckskraft. Seine Werke zeugen von einer inneren Dringlichkeit, die auch heute noch unmittelbar berührt. Besonders faszinierend ist, wie er philosophische und naturwissenschaftliche Einflüsse in seine Kunst integrierte: Die Quantenphysik, holistische Weltbilder und auch der Zen-Buddhismus hinterließen spürbare Spuren in seinem Denken und Schaffen. Diese geistigen Impulse verliehen seiner abstrakten Bildsprache eine meditative Tiefe und eine subtile spirituelle Dimension, die über das rein Formale weit hinausgeht.
André Kirbach
Arbeiten von Jupp Lückeroth finden Sie auf meiner Webseite unter der Rubrik Contemporary Art.

Quelle (Portraitfoto): Nachlass Lückeroth

Wenn der Raum sich krümmt – die holistischen Bildwelten von Jupp Lückeroth
(Klaus Frank*)
„ … Ich kenne Lückeroth seit vielen Jahren und habe seine Arbeit sehr interessiert und aufmerksam verfolgt. Zunächst sah ich nur Fotos und ich habe sofort gespürt, dass hier ein Mann am Werk ist, begabt genug, um einen guten Platz in der bildenden Kunst einzunehmen. Wir hatten dann gleich persönlichen Kontakt aufgenommen und in vielen langen Gesprächen über Kunst und über bestimmte wissenschaftliche Probleme, soweit sie für uns fassbar und dazugehörig befunden wurden, gesprochen. Lückeroth ist ein Mensch, der außerordentlich scharf denkt, dem die Kunst kein Austoben irgendwelcher Gefühle bedeutet, sondern dem die Kunst, seine Kunst, ein geistiges Anliegen im Zusammenhang mit der malerischen Auseinandersetzung ist. Lückeroth ist Autodidakt. Kraft seiner Intelligenz hat er sich ein großes Wissen und Können im wahrsten Sinne des Wortes erarbeitet. Die Natur bedeutet ihm viel, die Kunst alles. Ich erlebte ihn bei Spaziergängen, wie er alles beobachtet und erfasst, Gesteinsformationen, Strukturen des Holzes, die Wunder der vegetativen Welt insgesamt. Gesuchte Anregungen und Gesetze, die er für seine künstlerische Vorstellungswelt benötigt. Unnötig zu erwähnen, dass er die Natur nicht nachahmt. Er legt Vorgänge und Schöpfungsprozesse frei, die sein Intellekt bewältigt, um so zu neuen schöpferischen Aussagen zu gelangen, die seiner künstlerischen Idee gemäß sind. Aber auch rein geistige Probleme, wie z.B. die der modernen Physik sind für seine künstlerische Tätigkeit als Maler wichtig und bilden den Ursprung seiner malerischen Probleme. Ich erinnere mich lebhaft an den Schrecken, den er mir verursachte, als er 1960 in Frankfurt Bilder zeigte, in denen er das Problem des gekrümmten Raumes bildhaft verarbeitet hatte. Ich hatte mich dadurch selbst mit moderner Physik beschäftigt, was mir – ich muss gestehen – viel Kopfzerbrechen und schlaflose Nächte verursachte. Ich will es Ihnen und mir ersparen, darüber nochmals zu sprechen, obgleich es im Hinblick auf seine Bilder nicht unwichtig wäre, andererseits ist es für den Betrachter auch wieder nicht so maßgebend, dass er sich damit beschäftigt, denn die Bilder leben ihr eigenes Leben. …“
*Klaus Franck, 1964 (Auszug aus seiner Eröffnungsrede anlässlich einer Lückeroth-Ausstellung in der Galerie Moering, Wiesbaden)
Klaus Franck (1906–1997) war ein deutscher Galerist, der 1949 die „Zimmergalerie Franck“ in seiner Zweizimmerwohnung im Frankfurter Westend gründete. Diese Galerie entwickelte sich bis 1961 zu einem bedeutenden Treffpunkt der Nachkriegs-Avantgarde, präsentierte über 120 internationale Künstler und gilt als Geburtsstätte des deutschen Informel durch die einflussreiche Ausstellung „Neuexpressionisten“ im Dezember 1952. Neben Ausstellungen veranstaltete Franck regelmäßig Vorträge, Diskussionen und kulturelle Events – und wurde 1979 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet für seine Pionierarbeit in der Förderung moderner Kunst.
Heiner Stachelhaus* zu Jupp Lückeroth
(Entstehungsdatum unbekannt)
Ende 1947 war Lückeroth aus dreijähriger russischer Kriegsgefangenschaft nach Köln zurückgekehrt Er hat diese Zeit, in der er erfahren hat, was es bedeutet, „aufs Letzte zurückgeworfen“ zu sein, als entscheidend für sein weiteres Leben bezeichnet – entscheidend auch hinsichtlich der Notwendigkeit, eine neue Existenz als Maler zu begründen.
Die Kreativität, die sich 1952 so entschieden Bahn brach, hat ihre Wurzeln in jener Fähigkeit, den Dingen tiefer auf den Grund zu gehen und die Natur tiefer zu fühlen und bohrender zu befragen. Im wesentlichen unbelastet von kunstgeschichtlichen Zuordnungen, belastet aber mit dem für ihn so einschneidenden Kriegsgefangenen-Schicksal und ausgestattet mit einer Begabung für Naturwissenschaft und Mathematik, hat Lückeroth in jener Frühphase des deutschen Informell mit geradezu traumhafter Sicherheit sein Thema gefunden.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen war, daß es darauf ankomme, etwas Prozeßhaftes, Dynamisches zu entwickeln, also nicht ein Abbild, sondern ein Inbild von Natur zu realisieren. Lückeroth spricht von dem „Gewachsenen“, das er von Anfang an darstellen wollte, und von der Zeit als der vierten Dimension, die den dreidimensionalen Raum auflöst und die konkrete dynamische Form ermöglicht. Lückeroth hat sich Anfang der fünfziger Jahre sehr stark theoretisch mit der Malerei auseinandergesetzt, ist häufig nach Paris gefahren, um sich beim Besuch entsprechender Ausstellungen Klarheit zu verschaffen.
Die Konsequenz dieser Recherchen war, daß er bald wußte, worauf es für ihn ankam: „Man muß die reinen Strukturen malen.“ Lückeroth fand, was er suchte, in der Natur – er fand das Gewachsene: die Maserung in einem abgesägten Baumstamm, wobei ihm der hier verwendete Begriff „Jahresringe“ die wirkliche Existenz von Zeit drastisch vor Augen führte. Er fand das Gewachsene aber auch im Nordsee-Watt, in dem sich die ungeheure Bewegung des Meeres auf faszinierende Weise abzeichnet.
Dies waren die visuellen Schlüsselerlebnisse Lückeroth. Sie führten ihn zur malerischen vielfältigen Formulierung der Welle als einer Urform der Bewegung. Nach den Geweben, Spuren, Borken, Rinden, Fassungen und Schichten – diesen frühen Ergebnissen seines Suchens nach dem Gewachsenen – ergibt sich für Lückeroth die Notwendigkeit, die Wellenform als prinzipielles künstlerisches Anliegen zu begreifen. So malt er 1955 sein erstes „reines“ Wellenstrukturbild. Er nennt es „Gefäßrelation“.
In der Folgezeit entsteht jene große Serie von Wellenstrukturen, mit denen Lückeroth seinen Beitrag zur informellen Malerei geleistet hat. Er kann mit Recht darauf verweisen, daß er mit der Welle ein Problem von Räumlichkeit aufgeworfen hat, das zwar in der Naturwissenschaft, aber in der Malerei bisher wohl kaum eine Rolle spielt – das Problem des Gekrümmten Raumes.
Der Anspruch ist hoch – Lückeroth ist bescheiden genug, das Problem künstlerisch nicht zu überspitzen. Immerhin ist nachvollziebar, daß die pulsierende, schwingende Wellenstruktur häufig genug sich in dieser Weise dehnt oder zusammenzieht. Wenn man die Kosmologie mit ihrer Frage nach der Krümmung und nach der Begrenztheit bzw. Unbegrenztheit des Universums außer Acht läßt, dann bietet die bildnerische „Krümmung“ in den Kompositionen Jupp Lückeroths ausreichend Anlass, um sich einmal mehr der Irritation auszusetzen, die immer dann entsteht, wenn sich die intuitive künstlerische Erforschung von Welt mit der naturwissenschaftlichen Forschung an irgendeinem Punkte kreuzt.
* Heiner Stachelhaus (1930-2002) war ein deutscher Kulturredakteur und Kunstkritiker. Seine Schwerpunkte waren die Konkrete sowie die Informelle Kunst.
Vita
1919 geboren in Köln
1936-39 Ausbildung zum Versicherungskaufmannsgehilfen
1941-45 Soldat in Rumänien, russische Gefangenschaft
ab 1947 leitende Tätigkeit in einem Kölner Versicherungsunternehmen
1948-51 Parisaufenthalt, theoretische Auseinandersetzung mit moderner Kunst
ab 1951 Studium des holistischen Weltbildes und verwandter Themen (Zen-Buddhismus) als geistige Basis informeller Malerei
ab 1952 erste tachistische Bilder
ab 1953 Studienaufenthalte in den Hochmoorgebieten des Schwarzwaldes und an der Nordsee.
Studienreisen nach Italien, Frankreich, Belgien, Holland
1956 Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Kölner Künstler und erste Ausstellungsbeteiligungen
ab 1957 erste Arbeiten auf Bristolkarton mit Metallfarben.
Freundschaft mit Klaus Franck, mehrere Ausstellungen in der Zimmergalerie Franck in Frankfurt a.M.
1958 Beginn der Sammlertätigkeit, Aufbau der Sammlung „Frühes Deutsches Informel“.
Beteiligung an der 7. Abendausstellung „Das rote Bild“ in Düsseldorf
1960 Mitbegründer der Gruppe „fabo“ in Bochum (Manifest)
1961 Zusammenarbeit mit Oscar Fritz Schuh (Kölner Bühnen). Durch ihn Vermittlung mehrerer Ausstellungen
1962 Mitglied des Kreises 60 in Düsseldorf, Mitglied des Kunstkreises 52 in Gelsenkirchen
1963 Mitglied der Duisburger Sezession, Begegnung mit Prof. Grohmann
ab 1974 Freundschaft mit Frau Irmgard Vieth. Ausstellungen und Beteiligungen in der Dielen-Galerie Viet in Köln
1978 Mitglied des Künstlervereins „Malkasten“ in Düsseldorf
1993 verstorben in Köln
Die Sammlung „Frühes Deutsches Informel“ von Jupp Lückeroth befindet sich heute nebst zahlreichen eigenen Werken des Künstlers im Gustav-Lübcke-Museum, Hamm
Einzelausstellungen (Auswahl)
1957 Galerie Buddé, Bochum
1958 Zimmergalerie Franck, Frankfurt/Main; Galerie Seide Hannover
1959 Kunstkabinett Neuburger, Duisburg
1960 „Wenn der Raum sich krümmt“, Zimmergalerie Franck, Frankfurt/Main; Galerie Clasing, Münster
1961 Galerie Falazik, Bochum
1963 Märkisches Museum, Witten
1967 Level Art Gallery, London
1974 Dielen-Galerie Vieth, Köln, Eröffnungsausstellung
1975 Künstlerverein Malkasten, Düsseldorf
1979 Städtische Kunstsammlung, Rheinhausen
1999 Ausstellung zum 80. Geburtstag. Städtisches Museum Simeonstift, Trier
2000 Kölnische Galerie des Kölnischen Stadtmuseums; Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach
2004 Retrospektive zum 85. Geburtstag von Jupp Lückeroth, Gustav-Lübcke-Museum, Hamm
2005 „Spann! Jupp Lückeroth: Skriptograf-Zeichnungen aus dem Informel“, Galerie Heinz Bossert, Köln
2007 Haus der Kunst, Nümbrecht; Museum Villa Erkens, Grevenbroich
2009 Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach; Kölnische Galerie des Kölnischen Stadtmuseums;
„Jupp Lückeroth und seine Malerkollegen“, Große Kunstschau Worpswede
„Eine Hommage zum 90. Geburtstag …“, Gustav-Lübcke-Museum, Hamm
Gemeinschaftsausstellungen (Auswahl)
1958 7. Abendausstellung „Das rote Bild“ im Atelier von Otto Piene, Düsseldorf
1960 „fabo 60“, Eröffnungsausstellung Galerie Falazik, Bochum
1960 Internationale Malerei, Wolframseschenbach
1962 Prix Suisse de Peinture, Lausanne
1964 Zehn Jahre Galerie Franck, Franfurt/Main
1965 Die neue Generation, Kunstverein Hannover
1966 Rubinstein-Preis, Städtische Galerie München
1968 „Acht deutsche Maler“, Uppsala
1972 Bertram-Russell-Foundation, Nottingham
1976 „Deutsches Informel“, Schloss Gracht, Erftstadt
1980 Duisburger Sezession, Städtisches Museum Simeonstift, Trier
1982 „Arteder 82“, Muestra Internacional de Arte, Bilbao
1983 „Fiac 83“, Grand Palais, Paris
1984 „Dahmen, Hoehme, Lückeroth“, Galerie Vieth, Köln
1985 „Frühes Deutsches Informel“, Städtisches Museum Simeonstift, Trier
1986 „Deutsche informelle Malerei“, Städtisches Museum Gelsenkirchen
1987 „Informel und Abstraktion der 50er und 60er Jahre“ mit Baumeister, Hoehme, Schumacher, Winter und Wols,
Galerie Dorn, Stuttgart; „Konstruktiv – Meditativ“ mit Beuys, Dahmen, Graubner, Hoehme, Kricke, Mack
und Piene, Galerie Schröder, Mönchengladbach
1992 „Deutsche informelle Malerei – Werke aus der Sammlung Lückeroth“, Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen
1996 „Informel in Deutschland – Die Sammlung Jupp Lückeroth“, Städtisches Museum Simeonstift, Trier
1998 „Brennpunkt Informel. Kunst der 50er Jahre zwischen Moderne und Postmoderne“
Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg
2006 „Wege zur Abstraktion III“ – Das Informel der 50er Jahre, mit Götz, Trier und Schultze
Galerie Schröder und Dörr, Bergisch Gladbach
Bibliographie (Auswahl)
„Jupp Lückeroth – Informelle Malerei 1952-1987“, Städtisches Museum Simeonstift, Trier, 1988
„Frühes Deutsches Informel – Sammlung Lückeroth“, Städtisches Museum Sindelfingen, 1991
„Informel in Deutschland – Die Sammlung Jupp Lückeroth“, Städtisches Museum Simeonstift, 1996
„Brennpunkt Informel“, Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg, 1998
„Jupp Lückeroth – Ein Kölner Maler des Informel“, Kölnische Galerie des Kölnischen Stadtmuseums, 2000
„Jupp Lückeroth – Skriptographien“, Galerie Heinz Bossert, Köln, 2005
„Sterne in der Erde – Informelle Gouachen von Jupp Lückeroth“, Anneliese Schlagloth, Bergisch Gladbach, 2007
„Jupp Lückeroth – Schenkung Schlagloth“, Kölnische Galerie des Kölnischen Stadtmuseums, 2009