Reizei Tametsuna (1664-1722)

kakemono

Hängerolle (kakemono)

Gedicht, verfasst an einem Frühlingstag …

Tusche auf Papier
H. 37 cm, B. 53 cm

Japan, Edo-Zeit
frühes 18. Jahrhundert

Künstler:
Reizei Tametsuna (1664-1722) 冷泉為綱
(oder auch: Fujiwara Tametsuna)

aufwendige neuzeitliche Montierung
H. 134 cm, B. 67 cm

Holzdose (tomobako)

… please scroll down …

Aufschrift rechte Seite:
春日同詠朝日圓如鏡
和歌
従二位藤原為綱

shunjitsu dôei asahi marukikoto kagami no gotoshi
waka
ju nii Fujiwara Tametsuna

Verfasst an einem Frühlingstag, die Morgensonne rund wie ein Spiegel
Gedicht (waka)
Fujiwara Tametsuna, Hofrang ju-ni-i

Aufschrift linke Seite:
依にしへの 賢木に
かけし ますかが見 朝
日にむかふ あまの香
具八万

Inishihe no / sakaki ni
kakeshi  / masu kagami /  asa-
hi ni mukafu / Amanoka-
guyama   

In alten Zeiten hing
am Sakaki-Baum
ein Spiegel,
der Morgensonne gegenüber,
der Berg Amanokaguyama*

* Amanokaguyama (oder auch Amenokaguyama) wird normalerweise天の香具山 geschrieben. Berg (eher Hügel: 152 m hoch) in der Präfektur Nara, der schon in alter Zeit als heilig galt und der zu den „3 Bergen von Yamato“ (Yamato sanzan) gehört.

Der Berg wurde mehrfach in Gedichten erwähnt, dieses Gedicht bezieht sich eventuell auf ein berühmtes Gedicht in der Anthologie Manyōshū, das Kaiser Jomei (593-641) zugeschrieben wird, eine Beschreibung des blühenden Landes Yamato, betrachtet vom Berg Amanokaguyama.

Aufschrift auf der Schachtel:
?総郷懐紙題  春日同詠朝日如鏡

?sōgō kaishi dai    shunjitsu dōei asahi en kagami no gotoshi

Gedichtpapier, Titel: Verfasst an einem Frühlingstag, die Morgensonne rund wie ein Spiegel

[Anmerkung: kaishi – Gedichtpapier mit einem Gedicht, das dem Kaiser oder einem Tempel gewidmet ist, hier wohl dem Kaiser, da es sich bei Tametsuna um einen Hofbeamten handelt]

Reizei Tametsuna (1664-1722) 冷泉為綱

Hochrangiger Hofadliger und Dichter, sein eigentlicher Familienname war Fujiwara 藤原, gehörte zur Familie Kamireizei. Vizeminister im Rang ju-ni-i („folgender 2. Rang“).

Seine Mönchsnamen waren Chidō 智堂 und Shōkaku 性覚.

In alten Zeiten hing am Sakaki-Baum ein Spiegel.
(Rede zur Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung im Kunstverein Aurich, 2018)

Diese poetisch anmutenden Worte bilden den Anfang eines kurzen japanischen Gedichtes, welches von Fujiwara Tametsuna um 1700 verfasst und auf der, hier in der Ausstellung gezeigten Hängerolle vom Künstler selbst verewigt wurde.

In alten Zeiten hing
am Sakaki-Baum ein Spiegel,
der Morgensonne gegenüber,
der Berg Amano-kaguyama

Diese wenigen Zeilen sind für Japaner bezaubernde Poesie, ein ganz besonderer Ausdruck eines Momentes, was sich für uns Europäer nicht so schnell und einfach erschliessen lässt. Wie denn auch?
Ist es in letzter Konsequenz doch nur die deutsche Übersetzung einer fremden Sprache, die aus Schriftzeichen besteht und in der es allein für das Wort „Liebe“ mehr als zwanzig Möglichkeiten gibt, diese in ihrer Vielfalt – Schönheit, Zartheit, Innigkeit, Sinnlichkeit, Erotik oder auch Platonik – auszudrücken. Eine Ebene von Ausdrucksmöglichkeit in einem feinstofflichen Bereich, wie er uns Westlern letztendlich verborgen ist und meist auch bleiben wird. Ein Defizit, der bei mir, seit ich mir ihm bewusst bin, immer ein wenig Traurigkeit auslöst. Aber auch die Traurigkeit ist in Japan, so wie die Liebe, etwas, für das es mehr als ein Dutzend Ausdrucksmöglichkeiten und Zwischentöne gibt. …

Unser Dichter Tametsuna sieht eines Frühlingsmorgens die aufgehende Sonne. Sie erinnert ihn an einen runden Spiegel. Gegenüber der Morgensonne liegt der Berg Amano-kaguyama. Ein Spiegel hing damals am Sakaki-Baum.

Die drei Begriffe im Gedicht nämlich Sonne, Spiegel und Sakaki-Baum sind für Keiko Sadakane die Schlüsselwörter. Keiko Sadakane kennt die alte japanische shintoistische Mythologie, in der sich die Sonnengöttin Amaterasu aus Ärger über den Unfug ihres Bruders in einer Felsenhöhle versteckt und so die Welt finster wurde. Nur durch eine List, einen in den Sakaki-Baum gehangenen Spiegel, in dem die Göttin ihre eigene Schönheit erblickte, konnten die Menschen sie wieder hervorlocken.

Keiko Sadakane schätzt dieses Gedicht von Tametsuna sehr. Mit Respekt vor ihm widmet sie diesem Gedicht zwei Arbeiten die hier, gemeinsam mit der Hängerolle, die Tametsuna-Trilogie bilden.

Charlotte’s locks, in der wir die Sonne, den Mond und in deren Spiegel wir auch das Gesicht der Göttin Amaterasu entdecken können sowie Keiko Sadakanes dichterische Antwort auf Fujiwara Tametsunas Gedicht.

Ein Gedicht mit einem Gedicht zu beantworten, ist eine alte Tradition in Japan, die seit dem Mittelalter gepflegt wird. Auch hier zeigt sich wieder die enge Verbindung zur japanischen Kultur, die die Künstlerin stets pflegt und der sie mit Respekt begegnet. Denn auch Respekt ist in Japan immer noch eine große Tugend.

AK

 

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